Anfang bis Mitte Mai, wenn die ersten sonnigen Frühlingstage auf der Dreiborner Hochfläche erlebt werden können, kehrt der Neuntöter (Lanis collurio) von seiner langen Reise aus den Buschsteppen Ost-, Süd- und Südwestafrikas über Transjordanien und Kleinasien in die Dreiborner Prärie zurück, um hier bis Ende August/Anfang September seine Nachkommen großzuziehen. Dann erfolgt der Rückzug über Griechenland und Ägypten.
Die Männchen treffen in der Regel eher ein als die Weibchen und begründen die Brutreviere. Unmittelbar nach Ankunft der Weibchen bilden sich die Brutpaare.
Der Neuntöter (auch Rotrückenwürger, Dorndreher oder Falkensänger genannt) gehört zur Familie der „Würger“. Obwohl der martialische Name und die Familienbezeichnung eher auf ein „Vogelungetüm“ hindeuten, handelt es sich tatsächlich um einen eher kleinen Vogel, der mit seiner Größe von ca. 17 cm nur wenig größer als eine Dorngrasmücke oder ein Feldsperling ist.
Die Geschlechter unterscheiden sich stark in der Färbung des Gefieders:
Die Männchen sind unterseits rötlich-weiß und am Rücken leuchtend rotbraun gefärbt. Auffällig ist die dazu kontrastierende blaugraue Färbung von Scheitel, Nacken und Bürzel sowie die breiten schwarzen Augenstreifen. Der Schwanz ist schwarz und an der Schwanzbasis weiß gesäumt.
Demgegenüber ist die Färbung der Weibchen eher unauffällig. Die Oberseite ist braun gefärbt mit hellem graubraunen Nacken und Bürzel und dunklen Augenstreifen. Die Unterseite ist hellgrau und durch dunklere Federsäume quergewellt.
Die Jungvögel sehen den Weibchen in der Färbung sehr ähnlich und sind daher schwer von diesen zu unterscheiden. Die Befiederung ist bei den Jungvögeln aber auch oberseits quergewellt.
Auf der Dreiborner Hochfläche findet man den Neuntöter vor allem in den Besenginsterheiden an den Rändern der Siefentäler. Hier findet er einerseits Hecken und Büsche, vorzugsweise aus Weißdorn und Schlehe, die als Neststandorte und Jagdansitze dienen, sowie andererseits niedrige Bodenvegetation, die seinem Nahrungsspektrum (vor allem Großinsekten, aber auch Eidechsen, Fröschen, Kröten und Mäusen) entsprechenden Lebensraum bieten.
Wegen Ihres auffälligen Jagdverhaltens können Neuntöter grundsätzlich gut beobachtet werden. Meist sitzen sie auf einer exponierten Warte, zum Beispiel einer Strauchspitze, und halten von dort Ausschau nach Beute. Wird die Beute erspäht, stürzen sie sich blitzschnell nach unten und kehren bei erfolgreicher Jagd mit der Beute auf den Jagdansitz zurück. Mitunter ist dem Sturzflug auf die Beute noch eine kurze „Rüttelphase“ (ähnlich Turmfalke) vorgelagert. Das Töten der Beutetiere erfolgt mittels des sehr kräftigen, leicht hakig gebogenen Schnabels, der dem Vogel trotz seiner geringen Größe ein falkenartiges Aussehen verleiht. Ähnlich den Greifvögeln werden unverdauliche Nahrungsreste als Speiballen (Gewölle) herausgewürgt.
Entscheidend für die Namensgebung „Neuntöter“ ist die Angewohnheit dieses Vogels, Beute, die nicht zum sofortigen Verzehr bestimmt ist, auf Dornen oder Stacheldraht aufzuspießen. Dieses Verhalten ist aber nicht der Ausdruck einer besonders „mordlustigen“ Lebensweise, vielmehr dient die aufgespießte Beute in erster Linie als Vorratslager. Als Insektenjäger, der überwiegend bei warmer und sonniger Witterung jagt, können so die in unserem atlantischen Klima während des Sommers häufig vorkommenden längeren Regenperioden gut überbrückt werden. Es wird vermutet, dass nur diese Art der Vorratshaltung es dem Vogel ermöglichte, innerhalb seiner Stammesgeschichte die insektenreichen Tropen zu verlassen und in unserem relativ kühlen Klima zum Brutvogel zu werden.
Daneben kommt dem Aufspießen der Beute auch eine gewisse Signalfunktion zu. Einerseits wird Artgenossen angezeigt, dass ein Brutrevier bereits besetzt ist, und andererseits erhalten die Weibchen in der Paarungszeit Informationen über die Fitness und Kraft des potenziellen Partners.
Obwohl Neuntöter grundsätzlich gut zu beobachten sind, verstecken sie sich oft, wenn Menschen in ihre Nähe kommen. Bei der Annäherung an die vielfach auf der Dreiborner Hochfläche anzutreffenden Besenginsterheiden sollten deshalb Hecken und einzeln stehende Büsche und Sträucher vor dem Betreten des Gebietes mit dem Fernglas genau abgesucht werden. Auch der „Blick zurück“ nach dem Verlassen des Gebietes bietet häufig zusätzliche Beobachtungen.
Da einige Wanderwege auf der Dreiborner Hochfläche mitten durch die Brutreviere führen, ist auch eine akustische Wahrnehmung möglich. Der Gesang ist nur ein leises abwechslungsreiches Schwätzen mit gepressten und kratzenden Elementen, der nur selten zu hören ist. Mitunter werden auch Stimmen anderer Vogelarten imitiert. Häufig zu hören ist jedoch ein raues „gek gek“ als Warnlaut.
Der Neuntöter wird in der Roten Liste unseres Bundeslandes in Stufe 3 erfasst. Nach einem jahrzehntelangen Rückgang hat sich der Bestand seit den 1990er Jahren wieder etwas erholt. Der Gesamtbestand in NRW wird auf ungefähr 7.000 Reviere geschätzt.
Trotzdem bleibt der Schutz dieses Charaktervogels der Dreiborner Hochfläche ein globaler Auftrag, da durch die Lebensraumzerstörung und den Pestizideinsatz Brutareale, Durchzugs- und Überwinterungsgebiete gleichermaßen beeinträchtigt werden. Besonders in landwirtschaftlich stark genutzten Gebieten ist der Neuntöter infolge der Rodungen von Hecken und Feldgehölzen gänzlich verschwunden. Außerdem verschwanden in vielen Landesteilen weitere Biotope durch die Aufgabe von Weidewirtschaft und Streuobstanbau.